Adventskalender 2020

22. Dezember 2020

Es hätte so schön werden können… das ist gerade ein Zitat aus dem Fernsehen und es entspricht meiner Stimmung heute. Es hätte, aber es leider, wurde es das nicht.
Hallo in die Runde zum Dienstag vor Weihnachten.

Ich bin heute am Abend noch etwas unschlüssig, über was ich schreiben werde, denn eine Begegnung während meines Arbeitstages „geht“ mir nach und beschäftigt mich. Auch das hat wieder mit Corona zu tun und mit Mitgefühl und Trauer. Ein Ehepaar hat Haus verkauft und im hohen Alter entschieden, in die Nähe der Tochter zu ziehen. Eine Seniorenresidenz war das Ziel, das der Mann nicht mehr wirklich erreichte. Bevor er sich einrichten konnte in der neuen Umgebung musste er stationär aufgenommen werden und Anfang Dezember ist er ohne noch einmal entlassen worden zu sein, an Covid 19 verstorben. Wenn man dann die Witwe im Büro hat, die in neuer, fremder Umgebung nun allein ist und nach der Sinnfrage sucht, muss man schon sehr hartgesotten sein, davon nicht berührt zu werden. Ich bin in solchen Situationen ein Weichei, das sich länger damit auseinander setzt, wie es den Menschen geht. 
Die alte Dame wusste, dass ihr Mann sehr alt und krank war. Dennoch… es ist egal wie alt man ist oder war – der Abschied ist immer ein schwerer, wenn man noch Pläne hatte.

Die Tage, die vor uns liegen verlieren immer mehr ihren Zauber, denn die Einschränkungen werden intensiver. Aufgrund der hohen Infektionszahlen überlegt Aachen und die StädteRegion eine nächtliche Ausgangssperre. Die soll nicht in der „Nacht“ sondern schon ab 21 Uhr los gehen. Schön ist das nicht, aber notwendig um weiterhin zu versuchen, die Ansteckungen, die nicht wirklich sinken, in Griff zu bekommen.
Ich bin gespannt, ob es tatsächlich so kommen wird und wie es sich umsetzen lässt. Ich möchte in dieser Phase kein Entscheider sein. Menschen die Vorfreude zu nehmen, Einschränkungen zu verkünden und damit auch Prellbock für die damit mögliche Wut und das Unverständnis zu sein, das erfordert Standhaftigkeit und ich glaube auch Mut. Wir schauen auf die Entscheidungsträger und haben Erwartungen, die sie gefälligst zu erfüllen haben! 
Nein, ich meine das nicht so, aber es wird immer deutlicher, dass es diese lauten Forderungen gibt und die steigende Frustration. Vielleicht sind es prozentual gar nicht so viele Menschen im Land, die laut, fordernd, schimpfend und drohend sind, aber die Menge der Menschen, die sich dagegen stellen und den Entscheidern damit auch den Rücken stärken, ist nicht immer sicht- und hörbar. Unsere Zeit fordert klare Aussagen und Positionen und aushaltende Diskussion mit Faktenchecks.

Es gibt kein Drehbuch das das gute Ende sichert. Man kann sich nicht zurück lehnen und sagen – hey, alles wird gut und bis dahin sind wir Zuschauer. Wir sind alle weltweit in einer globalen Ungewissheit, die andauert und uns unsere Grenzen jeden Tag aufs Neue deutlich macht. Es gibt keinen Menschen, der nicht auch gleichermaßen gefährdet werden könnte. Der Virus achtet nicht auf gesellschaftlichen Status, Vermögen, Hautfarbe, Religion oder Herkunft. Wenn er in uns angefangen hat, sich zu vermehren, werden wir krank und machen krank. Bewusst ist das sicher Niemanden bis die Symptome da sind und es einen Nachweis gibt. Wenn man dann Glück hat, ist der Verlauf milde und beherrschbar. Aber dafür gibt es keine Sicherheit und vor allem ist es durchaus möglich, dass diese eigene milde Erkrankung beim Anstecken anderer Kontaktpersonen bei jenen einen dramatischen Verlauf nehmen könnte.
Ihr — wir wissen das alles und eigentlich müsste ich das gar nicht schreiben. Meine Sätze entstehen, weil ich wieder diese alte Frau vor mir sitzen sehe, die mir erzählt, das sie gerade Witwe geworden war und dann anmerkt, dass sie SO EINE WUT!!!! in sich hat, wenn sie „draußen“ die Menschen sieht, die ohne Maske gehen. Ja, das kann ich verstehen.  

Sie wird nun Weihnachten allein sein, das erste Mal seit Jahrzehnten ohne ihren Mann. Dieser Zustand ändert sich für sie nicht mehr – für Alle, die gesund bleiben kann das aber anders werden, wenn die kommenden Weihnachtsfeiern wieder (so hoffen wir Alle!) normal sind und man sich und die Liebsten wieder vereinen kann. Ohne Beschränkung, ohne Maske, ohne möglich Ausgangssperre. Wir haben diese Chance, die sie und viele andere Familien schon verloren haben. 

Die Wut, über die sie sprach, hat mich im Bus wieder eingeholt, als ich den nachlässig knapp hochgezogenen Loop bei einem Mitfahrer sah, der klar machte, wie sehr ihn der Mundschutz nervt. Mann oh Mann, warum können wir nicht einfach akzeptieren, dass dieses Stück Stoff derzeit ohne Diskussion eine Notwendigkeit ist, die man akzeptiert?!? Es ist Solidarität mit älteren Ehepaaren, mit Frauen und Männern die trotz ihres Alters noch Pläne haben und leben wollen. Es ist Rücksichtnahme auf Menschen, die auch jünger gefährdet wären und es ist ganz BESONDERS wichtig für Alle die, von denen wir erwarten, das sie uns im Fall der Fälle betreuen, pflegen, behandeln und heilen! Im übrigen: Sie tragen dieses Masken bei allen Notwendigkeiten um die Patienten zu schützen ohne das sie klagen, motzen, anzweifeln. Ohne Masken gibt es bspw. keine Operationen, keine Zahn- oder  diverse andere Behandlungen und Untersuchungen bei denen man uns Patienten schützen möchte. Dann werden diese Masken eine gesamte Schicht getragen… 

Ich merke, dass ich noch immer einen Teil der Wut, die sie ganz zaghaft deutlich machte, verarbeiten muss. In mir ist das Unverständnis groß, warum diese unsolidarische Haltung Raum und Nachahmung findet. Das ist für mich kein Quer- sondern ein Quatschdenken. Und weil ich nicht still sein möchte, sage ich dazu deutlich meine Meinung – auch hier im Adventskalender, der eigentlich besinnlich sein sollte. 
Es tut mir leid, wenn ich euch heute beim Lesen nicht eine schöne Anne-Geschichte anbieten konnte. Morgen ist ein neuer Tag und ich würde mich freuen, wenn ihr dann wieder vorbei schaut.

Herzlichst – bleibt gesund!

Anne


Spruch des Tages

Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen.
Albert Einstein