Grüße zum 5. Dezember 2020
Adventskalender 2020

05. Dezember 2020

Wochenende… Ich denke, die unter uns, deren Woche von Arbeit außer Haus geprägt ist, kennen und genießen den Moment, an dem man den Schreibtisch / Arbeitsplatz / woauchimmer verlässt und weiß – es ist nun Wochenende. Zwei ganze, folgende Tage sind Zeit auszuruhen. Uff… oder wie es so schön heißt: Hoch die Hände, Wochenende!

Klingt gut und ist gut. Wie oft haben wir dann Vorsätze was alles in der vermeintlich freien Zeit erledigt werden soll. Wir arbeiten weiter, nur an anderer Stelle und ohne das wir „abliefern müssen“, sondern wollen. Diese Situation kennen insbesondere berufstätige Mütter und Väter mit Kindern im Haushalt oder mit großem Haus und Garten. Innehalten und nichts tun, ist eher befremdlich und vor allem untrainiert. Man will gar nicht so verschwenderisch mit der Zeit umgehen, also ist man weiterhin rege und fleißig.

Gestern hatte ich auf Arbeit eine Begegnung mit einem sehr netten Paar. Als ich fragte, wann wir uns wiedersehen, meinte der Herr, er sei jetzt flexibel. Er habe jetzt und er betonte es fast nachdenklich, dass das für ihn noch ganz ungewohnt sei, richtig Zeit. Mein Blick auf das Geburtsdatum erklärte mir die Aussage – er war gerade im „Unruhestand“ angekommen, ein „Jungrentner“ sozusagen. 
Die Aussage kann ich verstehen und ich möchte heute ein bisschen darauf eingehen.
Zeit haben, die Eile aus dem Leben zu nehmen und zu genießen einmal auch einfach NICHTS zu tun, war für mich nach einem mehr als ausgefülltem Arbeits- und Familienleben mit dem 4 Jungs auch ein Lernprozess. Vor nunmehr etwas mehr als 4 Jahren habe ich aufgehört Vollzeit zu arbeiten. Damals war der Jüngste ausgezogen für ein BfD Jahr und ich war plötzlich allein und hatte Zeit. Keine vollen Waschmaschinen mehr, kein Kochen wenn ich es nicht selber wollte, keine Aufgaben, die zu erfüllen waren. Die Fülle an Zeit – dazu muss ich sagen, es waren 11 Monate zwischen der alten und der neuen Teilzeitarbeit – war fast überwältigend. Es gab auf einmal gar keine Struktur, keine Notwendigkeit, kein „Abliefern“ müssen. Man sagt zwar immer: „was du heute kannst besorgen, verschiebe nicht auf morgen“, aber der Druck den man (ich auf alle Fälle!) haben muss, um das HEUTE nutzen zu wollen, wenn es noch so viele MORGEN gibt in denen das auch möglich wäre, war weg. Darin besteht eine echte Gefahr, denn man kann auch verschlampern… 

Mir war das relativ schnell klar und deshalb habe ich mir eine neue Struktur gesucht und Rituale, die seither meinen Alltag prägen. Das Wann? Was? und Wie? sind Fragen für die man eine andere Antwort braucht als wenn man in Abläufen steckt die sozusagen von außen vorgegeben sind. Dabei geht es gar nicht um die Äußerlichkeiten wie aufstehen, anziehen und pflegen – sondern auch die Tagesstrukturen, die Zeiten von Tag und Nacht, die Art wie man und wo man isst und was, das kann und muss – wenn man Zeit hat und zu Hause ist, ganz neu gedacht werden. Das was innerhalb der eigenen Räume geschieht ist nicht außen sichtbar, muss man nur für sich selbst wichtig einstufen und wahrnehmen.
In der aktuellen Zeit mit viel Heim-, Kurz- oder ohne Arbeit ist das für nicht wenige Menschen, die nicht im Rentenalter sind auf das man sich vorab einstellen konnte, eine Aufgabe und Herausforderung.

Vor ein paar Tagen, als meine Adventskalendertage noch aus dem Sommer kamen, schrieb ich von der Kündigung meines einen B`s. Er ist immer noch zu Hause und ich sehe, wie sehr ihn diese fehlende Arbeitsstruktur belastet. Zeit zu haben bedeutet ja auch, die Freude auf das Wochenende und die Erleichterung, die Woche geschafft zu haben, nicht zu erleben. Der Wechsel zischen An- und Entspannung fehlt und es wird Gleichklang… jeder Tag ist ähnlich und es passiert nicht mehr viel. Auch dieses Erleben haben derzeit sehr viele Menschen.
Ich kann aus meiner damaligen Erfahrung heraus sagen, welche Überlegungen und Entscheidungen ich hatte und traf. Einerseits genoss ich es, Zeit zu haben. Nähen, Stricken, Garten… ohne auf die Uhr schauen zu müssen. Ich habe Bushopping betrieben und mit der Aseag – das ist unser Anbieter für den öffentlichen Nahverkehr die Stadt „bereist“. An beliebigen Haltestellen bin ich ausgestiegen, bin gelaufen und habe mir dabei Straßen und Stadtteile angeschaut und wenn ich nicht mehr wollte, habe ich mir eine Bushaltestelle gesucht und bin von dort aus weiter oder zurück gefahren. So habe ich nachdem ich schon Jahre in Aachen lebte, aber nie vorher genug Zeit hatte, die Stadt angesehen. Zudem wollte ich Neues wagen und begann zu spinnen. Das war der Beginn, zum Spinntreffen zu fahren, zu dem mich Andrea eingeladen hatte. Dazu kam der Nähkreis bei Tabalingo und später DIE Aachener Patchworkgruppe. Im Garten ging ich wieder in den Vorstand und so gab es Tage innerhalb des Monats, die hatten wieder ein Erleben, ein Gefordert sein. Wenige Stunden im Verhältnis zum verbliebenen Rest meiner freien Zeit, genug um im Gleichgewicht zu sein. Das konnte ich dann nach der neuen Arbeitsaufnahme fortsetzen. 
Es ist wichtig der Lebenszeit, die wir abgekürzt nur als Zeit bezeichnen, Inhalt und Sinn und Ziel zu geben. 
Mir ist klar, das es derzeit nicht einfach ist, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten und die von mir besuchten Treffen im Jahr 2020 keine Option wären. Von daher ist es doppelt schwer, dem Gleichklang der Tage Abwechslung entgegen zu setzen. Und auch wenn es vielleicht so klingt – einen schlauen allgemein gültigen Rat habe ich nicht. Wichtig ist es vermutlich so wie der Herr, der mich gestern besuchte über diese viele Zeit nachzudenken.

Von daher wünsche ich uns allen einen schönen Samstag mit Zeit zur Erholung, Struktur als Rahmen und Freude bei dem, was wir uns für diesen Tag vorgenommen haben. Eure Anne


Spruch des Tages

Im Laufe des Lebens habe ich gelernt: Wenn du dein Boot nicht selbst ruderst, kommst du nicht vom Fleck.
Katharine Hepburn